"Blind Writing" habe ich diesen Schreib-Prozess getauft. Ich schreibe eine Szene, die Anfang, Mittelteil oder auch das Ende einer Geschichte sein könnten. Die Story selbst kenne ich nicht. Die Geschichten werden sich mit der Zeit entwickeln und miteinander verbinden.
Copyright aller Texte: Michael C. Wagner

Mittwoch, 7. April 2010

Major Meshad

Major Meshad tupfte sich den Schweiss mit einem nicht mehr ganz frischen Tuch von der Stirn und stopfte es zurück in die Seitentasche seiner Uniform. Die abgerissene Gestalt vor seinem Schreibtisch beugte sich erwartungsvoll vor: "Und - konnte ich ihr Interesse wecken?" Meshad verzog das Gesicht und lehnte sich zurück. "Junger Mann, was glauben sie, wieviel Verrückte hier in einer Woche ihre Märchen auftischen?" Eine Pause entstand, die Meshad nutzte, um sich aus einer Karaffe mit grünen Tee zu bedienen. " Ich bin kein Märchenerzähler, Major; jedes Wort ist wahr!" Meshad seufzte und mit der Rechten malte er kleine imaginäre Kreise auf die Schreibtischunterlage. Dann straffte er sich und griff nach einem Formular, dass er in einem verstaubten Regal neben sich fand. "Also, machen Sie es kurz! Wann haben Sie den Mann das letzte mal gesehen? Und wo genau?" Er kniff die Augen zusammen und fixierte sein Gegenüber. Der typische Backpacker - wahrscheinlich vollgekifft bis oben, dachte er dabei und hob demonstrativ seinen Kugelschreiber. "Nun, ich höre, junger Mann!"

Dienstag, 9. März 2010

Point Noir II

Sie hatten den Mann nach Norden aufgebahrt. Die spärlicher werdende Sonne des Nachmittags fiel in den schmalen Raum und das Bett in der Mitte. Das Licht zeichnete sanfte rötliche Streifen auf den Leichnam. Von Ferne war das Rauschen der Brandung zu vernehmen, dass sich mit dem Rascheln der Palmen mischte. Ein Windhauch bewegte für einen Moment die schmutzigen Leinentücher vor dem Fenster.
Vor dem Bett kniete eine hagere Gestalt. Der Mann hatte die Hände gefaltet und presste sie gegen den tief geneigten Kopf. Die Frau an der Bettseite starrte unbeweglich auf die Fensteröffnung und bewegte lautlos die Lippen. Der Hagere hob den Kopf und sah zu der Frau hinüber, die ihren Blick von Fenster abwandte. „Hast du ihn gekannt ?“ fragte er leise. Sie verneinte die Frage mit einer kleinen Bewegung ihres Kopfes. Der Hagere erhob sich, ging langsam zum Fenster und schob die grauen Leinentücher zur Seite. Er wandte sich der Frau zu: „Es wird bald dunkel. Lass uns fahren. Bis wir in Point Noir sind, ist es Nacht“.
Die Frau erhob sich mit einem Seufzer und bedeckte dabei ihr Gesicht mit einem Schleier. Sie trat nah an den Mann, berührte vorsichtig seine Hand und sah ihn fragend an. Er packte ihre Hände an beiden Gelenken: „Man wird ihn finden, er hat keine Papiere. Ein Ausländer ohne Papiere. Sie werden keinen Ärger haben wollen….“ Er ließ den Rest des Satzes offen und wandte sich entschlossen zur Tür.

Als sie das Haus verließen frischte der Wind auf und trieb lose Büschel verdorrten Grases über die Strasse. Sie gingen schnell zu dem alten Chevrolet der Richtung der Hauptstrasse geparkt war. Nachdem sie eine Weile schweigend gefahren waren, griff der Hagere hinter sich und zog einen Revolver aus dem Hosenbund. Die Frau auf dem Beifahrersitz wandte den Blick und schlug ihren Schleier zurück. Dann warf sie den Kopf in den Nacken und ihre langen blonden Haare fielen in ihr Gesicht. Sie setzte eine dunkle Sonnenbrille auf und sah in die blendende Helligkeit des Sonnenuntergangs. Die Blonde deutete stumm auf die Waffe, die er immer noch zwischen den Fingern hielt und dabei das Fahrzeug steuerte. Der Hagere nickte. Er drehte die Seitenscheibe des Chevrolets herunter und warf den Revolver in weitem Bogen in den Wüstensand.
Nach einer Weile nahmen sie eine Abzweigung, die sie auf die langgezogene Küstenstrasse führte. Das Meer lag jetzt vor Ihnen, über dem die Sonne sich anschickte, die Nacht einzuläuten.

Weit draussen über dem Meer, sich scharf gegen den untergehenden Sonnenball abhebend, erkannten sie die Konturen eines großen Helikopters.

Dienstag, 3. Juni 2008

11 Grad, 41 Minuten Nord; 43 Grad, 10 Minuten Ost.


Captain Burbank, den seine Soldaten alle nur Hollywood nannten, sah aus dem Fenster des Sea Hawks. Er hatte seinen Namen wegen der Namensgleicheit mit den Filmstudios bekommen, doch auch sein Äußeres trug dazu bei. Er war ein braungebrannter Hüne Anfang vierzig von athletischer Statur mit kurz geschnittenem Haar, zu dem sich neben einem Braun ein erstes Grau gesellte. Burbank trug einen Schnurrbart in der Art wie Errol Flynn es getan hatte. Seine eisgrauen Augen hatten einen entschlossenen Blick und verrieten neben Mut Intelligenz und Wärme.

Burbank entfaltete die Seekarte. Es war eine Marotte von ihm – keiner benutzte mehr Seekarten – aber Burbank hatte sich entschlossen, nicht allein auf die Satellitennavigation zu vertrauen. Schon als Kind war er mit Karte und Kompass durch die Wälder von Virginia gestreift. Beide Dinge hatten ihn sein weiteres Leben begleitet.

Burbank gab die Koordinaten aus seinem Briefing in das System ein: 11 Grad, 41 Minuten Nord; 43 Grad, 10 Minuten Ost. Der Pilot neben ihm überprüfte die Daten. Burbank sah auf seine Karte und brüllte in die Sprechanlage, obwohl die neuen Pilotenhelme den Lärm der Rotoren dämpften. „Das ist ganz in der Nähe von Point Noir!“ Der Pilot nickte und drehte den Kopf zur Seite. Die Sonne spiegelte sich in den grünen Gläsern seiner großen Brille: „Das ist gut so, Sir, da hat er `ne reelle Chance. Bei Point Noir gibt’s einige Fischer, die auf der Insel leben.“
Burbank nickte. „Verdammt gut, so kriegen ihn die Niggerpriraten nicht.“ Buzz, der Pilot grinste: „Wir kriegen ihn zuerst, Holly…Verzeihung, Sir.“ Norman Burbank unterdrückte sein Schmunzeln und richtete seinen Blick auf die aufziehenden Wolken im Osten.

Fade to Black

Die Dunkelheit kam ohne Vorwarnung. Keine Dämmerung hatte sie angekündigt, kein Versiegen des Lichts war ihr vorausgegangen.

Entsetzt suchten Haigis Augen die Uhr an seinem Handgelenk. Die Leuchtzeiger glimmten in einem matten grün und gaben ihm für einen Moment einen letzten Rest Sicherheit im Universum des Schreckens. Fünf Uhr dreißig! Innerhalb von dreißig Minuten war es hellster Tag und dann wieder tiefste Nacht geworden. Ein eisiges Frösteln überfiel ihn trotz der tropischen Temperaturen auf der Brücke.

„Kaptain?“ Die Stimme zu seiner linken gehörte Wong. Aufkeimende Furcht schwang in ihr. „Ja!“ antworte Haigis tonlos und tastete sich nach vorne zum Brückenfenster. Dabei stieß er gegen ein weiches Hindernis. Seine Finger fühlten den Stoff eines Hemdes. „Sind Sie es, Vellmann?“ Lars Vellman antwortete nicht, Haigis vernahm nur das Geräusch seines schweren Atems und er roch ein billiges Rasierwasser, das sich mit Vellmanns Angstschweiss vermischte. Haigis drängte sich an ihm vorbei bis seine Hände die Holzreling unterhalb des Brückenfensters ertasteten. Er bewegte vorsichtig den Kopf und berührte die Scheibe mit den Fingerspitzen, um nicht gegen sie zu stoßen. Er kniff die Augen zusammen, schloss sie für einen Moment und öffnete sie dann wieder. Kapitän Haigis sah dorthin, wo das Meer sein musste.- keine Sterne, kein Mond, nicht der Hauch eines Lichts fielen auf seine Netzhaut.

Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns. Die Zeilen des Gebetes drangen in sein Hirn, während sich seine Finger um die blank gescheuerte Reling krallten. Sein Mund wurde trocken und eine unangenehme, trockene Hitze wallte in ihm auf. Hinter sich aus Richtung der Tür, vernahm er ein schwaches Gemurmel. Wortfetzen in Spanisch drangen an sein Ohr und obwohl er die Sprache nicht verstand, wusste er, dass Carlos Mendozza betete.

Search and Rescue

Auf der USS Ronald Reagan war einige Minuten nach Zehn hektische Betriebsamkeit ausgebrochen. Eine Reihe von Soldaten in den unterschiedlichsten Uniformen waren im Lageraum des Flugzeugträgers um einen großen Tisch versammelt. Commander Greg Olsen ließ sich Bericht erstatten. Um 0956 hatte Chuck Maslow einen Notruf abgesetzt und den Ausfall beider Triebwerke gemeldet. Um 0958 brach dann der Funkkontakt zu Maslows Hornet ab. Die Funkortung hatte zwar um 0959 ein schwaches Signal von Maslows Notfall-Transponder aufgezeichnet, das Signal war aber fünfundzwanzig Sekunden später nicht mehr zu registrieren.

Greg Olsen blickte besorgt zu Capain Norman Burbank von der CSAR hinüber, der zusammen mit einem Leutnant die ausgebreiteten Seekarten betrachtete. Das Team der Combat Search and Rescue Unit auf der USS Reagan war einsatzbereit. Draußen auf dem Hauptdeck liefen bereits die Turbinen des silbernen Sea Hawk. Burbank faltete eine Seekarte zusammen und steckte sie – wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten, in die Seitentasche seines Overalls.“Wir finden ihn – wir haben noch alle gefunden.“ Die Entschlossenheit in den eisgrauen Augen des Captains beruhigte Commander Olsen. Er nickte Burbank zu und verabschiedete ihn, indem er die Hand an seine Mütze hob. Duch das Fenster des Lageraums beochachte er, wie Burbank und der Leutnant zu dem großen Helikpoter liefen. Sobald sich die Türen geschlossen hatten, erhob sich der Seahawk und entschwand in einer engen Kurve seinem Blickfeld. Die Borduhren zeigten 1040.

Draußen, weit entfernt am Horizont, zogen jetzt dunkle Wolken auf.

Dienstag, 20. Mai 2008

Nachrichten an Hamburg

Kapitän Haigis wandte sich an die beiden ratlosen Seeleute auf der Brücke: „Ankern lassen! Ohne Navigation bewegen wir uns keine Meile weiter! Ich werde Hamburg Bericht erstatten.“ Er verließ die Brücke und als er den Niedergang zum Funkraum erreichte, erstarben die Schiffdiesel der MS Doria. Haigis öffnete die Tür zur Funkkabine und griff zum Brückentelefon: „Maschine! Was ist los?“ Der erste Ingenieur meldete sich sofort. “Maschinen ausgefallen, versuche Hilfsdiesel!“ Nichts passierte, nur eine unheimliche Stille lag weiter über dem Schiff. Haigis ging zum Stahlschrank in der Funkkabine, öffnete ihn und entnahm das Satellitentelefon der Reederei. Er wählte die Verbindung nach Hamburg. Das Gerät zeigte den korrekten Verbindungsaufbau, dann erloschen die Zahlen auf dem Display wie von Geisterhand. Die krächzende Stimme des Ingenieurs kam über den Kabinenlautsprecher: „Hilfsdiesel negativ, keine Reaktion!“ „Woran liegst`s, zum Teufel noch mal,“ brüllte Haigis gereizt. Er öffnete den Laptop und startete den Computer. „Ich kann im Moment keine Ursache sehen, Kaptain,“ war da wieder die Stimme des Ingenieurs, „ich arbeite dran..“

Haigis begann hastig eine Nachricht an die Reederei zu schreiben. Seine Hände zitterten ein wenig und er musste ständig kleine Tippfehler korrigieren. Von Achtern hörte er das schwere Rasseln, als die Anker zu Wasser gelassen wurden. Wenig später spürte er den harten Ruck, als sich die Ketten strafften.

Haigis drückte auf Senden und wechselte in den Ordner gesendete Nachrichten. Offensichtlich war die mail auf die Reise gegangen. Er atmete erleichtert aus und suchte in seinen Taschen nach der ersten Zigarette an diesem Morgen.

Haigis blickte zur Uhr, es war zwanzig nach Fünf. Von Draußen kam die gleißende Helligkeit durch das Bullauge der Kabine und malte einen weißen Fleck auf den abgenutzten Linoleumboden. Es klopfte an der Tür. Der Smutje betrat die Kabine und balancierte ein Tablett mit einer Tasse dampfenden Kaffees. Auf seiner Stirn klebte ein großes Pflaster. „Vielleicht der letzte heiße Kaffee heute, Kaptain, wir haben keinen Strom mehr.“ Haigis nickte und nahm den Kaffee von dem Tablett. Eine Weile saß er still da, schlürfte den Kaffee, entzündete die Zigarette und rauchte in tiefen Zügen.

Aus dem Bordlautsprecher klang wieder die krächzende Stimme von Carlos Medozza, dem ersten Ingenieur: „Ich komme mal nach oben, Kaptain…“

Carlos Mendozza war ein kleiner stämmiger Spanier mit einem fröhlichen Gesicht. Seine schwarzen Haare waren von silbernen Fäden durchzogen und hinter dem Kopf zu einem Pferdeschwanz gebunden. Er setzte sich unaufgefordert und sah Kapitän Haigis besorgt an: „Wir haben null Power. Die Hilfsdiesel springen nicht an, darum gibt es auch keinen Strom. Die ganze Elektronik ist im Eimer, sämtliche Programme sind gelöscht! „Wie bei dem Radar und der Navigation,“ murmelte Haigis und sah auf den Boden und fixierte die Lichtreflexe. Mendozza hob besorgt eine Augenbraue. Die beiden Männer schwiegen einen Moment. Haigis hob den Blick und sah auf die batteriebetriebene Uhr über der Funkanlage: Es war jetzt halb Sechs. Er atmete hörbar aus und erhob sich: „Lassen Sie uns zur Brücke gehen und mit Vellmann sprechen, wie wir weiter vorgehen.“ Die beiden Männer verließen die Funkkabine.

Als sie die Brücke betraten, brach plötzlich die Nacht herein.

Sonntag, 18. Mai 2008

Hafencity II

Daniel reichte seinem Vater den Ausdruck der mail. Klussmann sah auf die antike Pendeluhr auf seinem Schreibtisch. In Dschibuti ist es jetzt Zehn,“ kam ihm Daniel zuvor, „die Nachricht kam kurz nach Sechs ihrer Zeit.“ Klussmann hatte seine altmodische große Brille aufgesetzt und las den Text leise mit:
"Von MS Doria an Klussmann Line, Richard Klussmann. Bericht des Kapitäns: NullFünfHundert. Östlich vor Point Noir, vor Dschibuti. Ruhige See aber vorrübergehende starke Bewegung des Schiffs. Ausfall aller Instrumente und Ausfall der Maschinen. Ursache unbekannt. Kein Funkkontakt mehr, auch keine Satellitentelephonie möglich. Radar zeigt keine Leuchtfeuer. Wir gehen vor Anker. PS: Außergewöhnliche Helligkeit um Fünf Uhr. Grüße, Haigis“

„Außergewöhnliche Helligkeit?“ Klussmann schüttelte den Kopf. „Vor Ostafrika ist es um diese Jahreszeit stockdunkel! Was meint er damit?“ Daniel zuckte mit den Achseln.

Dienstag, 13. Mai 2008

Boarding

Chuck Maslow machte ein paar kräftige Züge auf die Scherezade zu und befreite sich von dem kleinen Schlauchboot, das er nicht mehr benötigen würde. Das Wasser war klar und warm. Die Steuerbordseite des alten Fischtrawlers lag vor ihm und die Aufbauten verdeckten die Sonne, so dass er den dunkelhäutigen Mann erkennen konnte, der sich anschickte, ihm einen verrotteten Rettungsring zu zu werfen. Maslow ignorierte den Ring und deutete dem Mann an, ihm aus dem Wasser zu helfen. Der Schwarze nickte und warf einen Tampen über Bord, an dem sich Maslow festkrallte. Er stemmte seine Stiefel gegen die Bordwand und zog sich an dem Seil empor, bis er auf Höhe der Reling war, wo ihn zwei kräftige Arme an Bord zogen. Erschöpft ließ er sich auf den Rücken fallen und beruhigte seine Atmung. Er nahm den Pilotenhelm ab. Die blendende Sonne ließ ihn kurz die Augen schließen. Dann begann er sich zu orientieren und tastete nach dem Rettungssender. Der Transponder schien Signale zu senden und blinkte regelmäßig.

Auf dem feuerrot gestrichenen Deck der Scherezade saß Mahmoud mit überkreuzten Beinen und betrachtete den Amerikaner in seiner higtech Ausrüstung wie ein seltenes Insekt. Er schälte eine Orange, lächelte und zeigte dabei eine Reihe strahlender Zähne.

„Mahmoud!“ Er deutete auf sich. Maslow lachte und nahm die Orange entgegen, die der Schwarze ihm reichte. „Leutnant Chuck Maslow, First Wing, Second Squadron, stellte er sich vor und zeigte auf das kleine Namenschild auf seiner linken Brustseite. „USS Ronald Reagan“, fügte er ergänzend hinzu. Mahmoud nickte verständnisvoll: „Reagan – Big Präsident!“

Montag, 12. Mai 2008

Falling down

Die Hornet hob sich klar vor dem blauen Himmel ab. Kapitän Haigis korrigierte die Schärfe des Fernglases. Er erkannte deutlich die Kennung und die Hoheitsabzeichen der US Navy. „Wir bekommen Besuch“. Wong, der den kleinen Fischtrawler backbords beobachtete, folgte der Blickrichtung von Haigis und visierte das Flugzeug an. In diesem Moment veränderte die F 18 ihre Lage und schien in einen Sturzflug über zu gehen. Haigis sog mit einem scharfen Laut die Luft ein. Die beiden Seeleute sahen gebannt wie sich die Kanzel löste und der Pilot aus der Maschine katapultiert wurde. Die führerlose Maschine drehte sich zweimal um die eigene Achse und stürzte dann unkontrolliert wie ein Stein dem Meer entgegen, um in nicht allzu großer Entfernung zur MS Doria in einer meterhohen Wassersäule zu versinken.
„Das war knapp!“ Haigis verfolgte den Fall des Piloten und atmete erleichtert aus, als sich der Schirm öffnete.

Underwater

Kurz bevor Chuck Maslow in die Wasserfläche eintauchte, betätigte er instinktiv den Notsender an seinem rechten Oberschenkel. Der Aufprall war härter, als er erwartet hatte. Das Wasser schlug über ihm zusammen und er wurde in die Tiefe gerissen. Er löste den Fallschirm und konzentrierte sich darauf, die Orientierung zu behalten. Über sich erblickte er eine heller werdende Fläche, die von der Silhouette seines Schirms unterbrochen wurde, der auf dem Wasser trieb. Das Schlauchboot seiner Rettungsausrüstung begann sich zu entfalten und verlieh ihm wieder Auftrieb. Kurz bevor er auftauchte erkannte er neben sich die Umrisse eines Bootsrumpfes. Er riss den Kopf aus dem Wasser und pumpte die frische Seeluft in seine Lungen.

An seiner rechten Seite dümpelte die Scherezade auf der spiegelglatten See.

Freitag, 9. Mai 2008

Der Glencheck (1998)

Schwüle Luft steht bewegungslos über der Stadt.
Die Halstestelle liegt auf einer Verkehrsinsel an der Fahrspuren in langen Reihen vorbeiführen, um sich dann im Gewirr der Häuserschluchten zu verlieren. Das Rauschen des stetig fließenden Verkehrs ist das einzig beherrschende Geräusch. Durch den verhangenen Himmel taucht die Nachmittagsonne die Umgebung in ein schattenloses milchiges Licht. Hier gibt es kein Entkommen.
Der Bürotag war anstrengend gewesen, anstrengender als sonst. Der junge Mann hatte sich über seinen Vorgesetzten geärgert. Diesmal hatte er es auch zugelassen und offen gezeigt. Die Irritation des anderen hatte ein angenehmes Gefühl bei ihm hinterlassen. Die anfängliche Wut war später in einen mäßigen, aber immer noch spürbaren Groll übergegangen. Jetzt, gegen Büroschluss, fühlte er nur noch das satte Gefühl und strebte mit vielen Menschen durch die Straßen Richtung Bahn und Bus. Er dachte kurz an Tschernobyl und die Gefahr radioaktiver Strahlung. Die Zeitungen waren noch voll davon. Als einige wenige Tropfen vom Himmel fielen, überkam ihn ein Gefühl der Bedrohung, dass er sofort wieder verdrängte.
An der Haltestelle wartet der Glencheck.
Seitlich im Halbprofil betrachtet, vermittelt er den Eindruck einer ganz alltäglichen Person, wenn man das ungepflegte lange Haupthaar außer Acht lässt. Bei genauerem Hinsehen jedoch erkennt man die vielen Flecken auf seinem abgetragenen Mantel aus grauem Glenscheckstoff. Wenn der Mann sich dreht und sein bärtiges Gesicht zeigt, sieht man die kleinen dunklen Augen, die mit unstetem Blick die Umgebung fixieren. Ihr Ausdruck ist verschlagen und es liegt eine Spur Häme darin. Auch seine Statur wirkt bei genauerer Betrachtung bedrohlich, massig der Körper; die Breite seiner Handgelenke verrät enorme Kraft. Die großen Hände mit den rohen behaarten Handrücken sind die eines Schlägers.
Die Erscheinung des Bärtigen ist dem jungen Mann unangenehm. Vorsichtshalber lässt er einen größeren Abstand zwischen dem Fremden und sich. Sie warten auf den Bus.
Der Glencheck fährt mit dem Finger unter seinen Kragen, als wolle er sich Luft verschaffen. Der junge Mann bemerkt trotz der Distanz die Ausdünstungen des Bärtigen. Die schwüle Luft mischt sich mit einer Woge aus Schweiß, Alkohohl und Gewürzen. Er dreht sich weg und studiert den Fahrplan. Bis zum Eintreffen des Busses wird noch einige Zeit vergehen. Um sie zu überbrücken, zündet sich der Junge eine Zigarette an.
Klick – Klapp! Klick – Klapp! Der junge Mann sieht sich um. Der Glenscheck hat ein Feuerzeug aus der Tasche gezogen. Klick – Klapp! Das Klicken und Klappen des Feuerzeuges scheint einem genau festgelegten Rhythmus zu folgen, dem der junge Mann einen Moment fasziniert folgt.
Im selben Augenblick bewegt sich Glencheck und verkürzt die Distanz zwischen ihnen. Er fixiert den Jüngeren. “Haste mal ne` Zigarette?“ Die Stimme klingt rau und fremd, Tonlage und Lautstärke sind so gewählt, dass der Junge sie nicht ignorieren kann. Ein Gefühl von Unmut übermannt ihn und er reagiert anders als sonst. „Könntest ruhig mal bitte sagen!“ Er reicht dem Bärtigen achtlos die Packung, behält sie aber in den Fingern. Der Glencheck nestelt provozierend langsam eine Zigarette aus dem Päckchen und betrachtet sie ausgiebig mit zusammen gekniffenen Augen, bevor er sie in den Mund steckt.
Klick! Über die Flamme seines Feuerzeuges fixiert er den Jüngeren mit seinem Blick. Er nimmt einen tiefen Zug. Klack! Den jungen Mann beschleicht ein mulmiges Gefühl. Hatte er zu scharf reagiert? Es war sonst nicht seine Art. Der Glencheck betrachtet die Glut an der Spitze der Zigarette. „ Du hast mir die Zigarette nicht gern gegeben!“ brummt er, leiser als zuvor, und fixiert sein Gegenüber. Die rohe Hand, welche die Zigarette hält, bewegt sich im Zeitlupentempo abwärts. Sein Blick, auf den Jungen gerichtet, wird dunkler und böser. „ Ich musste dich darum bitten!“ Der Tonfall verstärkt das ungute Gefühl des Jungen.

- wird fortgesetzt -

Traurige Neuigkeiten

Anselm Büttner blickte über die Dächer der Stadt hinüber zu den Landungsbrücken, wo die Sonne eben ihren dunkelroten Feuerball in die Elbe tauchte.
Sechs Stockwerke unter ihm malten die Straßenlaternen gelbliche Reflexe in die Pfützen der Bürgersteige. Der Feierabendverkehr hatte eingesetzt und die Luft war erfüllt von einem beständigen Rauschen.
Die Konturen des kleinen Büros im Chilehaus verschwammen und das Knacken des Heizkörpers war für einen Moment das beherrschende Geräusch in dem Raum. Büttner wandte sich vom Fenster ab und ließ sich schwer auf den alten Drehstuhl fallen, was dieser mit einem protestierenden Quietschen beantwortete. Im Halbdunkel suchten seine Finger den Lichtschalter. Eine Tischlampe, deren Lack an einigen Stellen abblätterte, warf ihr kümmerliches Licht auf den alten, abgenutzten Schreibtisch dessen Oberfläche bis auf die verschlissenen Schreibtischauflage und den speckigen Telefonapparat leer war.
Büttner lehnte sich zurück und schwang die Füße auf den Schreibtisch. Er fummelte eine letzte Lucky Strike aus dem verknitterten Päckchen und schnippte es zerknüllt mit geübtem Schwung in den Papierkorb neben dem Kleiderständer. Die Flamme des Streichholzes erhellte eine Sekunde seine markanten Züge mit der langen geraden Nase, dem energischen Kinn und den dunklen geschwungenen Brauen. Er inhalierte tief und stieß den Rauch hörbar gegen die Zimmerdecke, an der ein träge drehender Ventilator den Rauch allmählich verteilte. Sein Blick fiel auf die Armbanduhr an seinem linken Handgelenk. Sie war wertvoll, er hatte sie einmal als Anzahlung von einem klammen Klienten genommen. Die Zeiger zeigten jetzt kurz nach sieben. Büttner blieb eine Weile bewegungslos sitzen, dann schnippte er die Asche der Zigarette achtlos auf den Boden. Der Kalender an der Wand gegenüber, an der sich an einigen Stellen die schmucklose Tapete löste, zeigte den zweiten Oktober.

Inzwischen war es draußen dunkel geworden.
Von der Elbe drang warnend das Horn eines einlaufenden Schiffes. Die Temperatur im dem Büro hatte sich etwas abgekühlt. Büttner dreht an dem Ventil des Heizkörpers, dessen Bakkelitknopf sich nur widerwillig bewegen ließ. Mit lautem Glucksen strömte das Wasser in die kalten Rippen.
Ein peitschender Knall ließ ihn aus dem Drehstuhl hochfahren. Draußen auf dem Flur setzte sich der alte Aufzug in Bewegung. Büttner hatte gelernt, an der Art des Geräuschs zu erkennen, ob der Fahrkorb nach oben fuhr oder sich abwärts bewegte. Jetzt kam er herauf – sehr ungewöhnlich an einem Freitagabend zu dieser Uhrzeit!
Als der Aufzug das letzte Mal an einem Freitag zu dieser Uhrzeit nach oben gefahren war, hatte es anschließend eine Menge Ärger gegeben. Er erinnerte sich nur ungern an die dunklen Flecken auf dem Teppich. Seine Hand griff nach der Achtunddreißiger unter seiner linken Achsel, die Finger tasteten über das glatte kühle Metall. Mit einer sicheren Bewegung glitt die Waffe in seine rechte Hand. Büttner löschte das Licht der Tischlampe und die Glut seiner Zigarette. Er lenkte den kurzen Lauf der Smith & Wesson Richtung Tür. Vom Treppenhaus fiel fahles Licht durch die Milchglasscheibe und zeichnete ein helles Dreieck auf den Boden des Büros. Das Geräusch des Fahrstuhls erstarb. Im nächsten Augenblick klappten die Türen und das Scherengitter wurde geräuschvoll geöffnet. Offenbar hatte der späte Besucher nicht die Absicht, sein Kommen zu verheimlichen. Büttner hielt einen Moment den Atem an, um den Geräuschen auf dem Flur zu lauschen.
Ein massiger Schatten verdunkelte die Scheibe. Büttner amtete hörbar aus. Mit dem Daumen spannte er geräuschlos den Hahn der Waffe, indem er mit der linken Innenhand den Schall dämpfte.
Der Schatten wurde größer. Aus der unscharfen Kontur löste sich eine Hand, die vorsichtig an die Scheibe klopfte.
„Herr Büttner?“ Die Stimme hatte einen flehenden Unterton.
„Wenn sie da sind, Herr Büttner, bitte öffnen sie!“
Büttners Misstrauen war noch nicht beseitigt.
„Treten sie an die Tür und legen sie beide Hände an die Scheibe, damit ich sie sehen kann“ befahl er. Der Schatten wurde noch größer und zwei zierliche Hände drückten sich an die Scheibe. Büttner war mit einem langen Schritt an der Tür und öffnete sie ruckartig. Mit ziemlichen Schwung kam ihm ein zarter Frauenkörper entgegen. Die Rothaarige in seinen Armen stieß einen überraschten Seufzer aus. Anselm Büttner spürte die Wärme ihres Körpers und ihr pochendes Herz. Vorsichtig führte er sie ans Fenster und drückte sie auf den abgewetzten Sessel vor dem Schreibtisch. Dabei steckte er die Achtunddreißiger so unauffällig wie möglich zurück in das Holster.
„Was führt sie zu mir, Fräulein…?“
„Stern. Rosie Stern.“ hauchte die Rothaarige. In ihren Augen stand eine Hilflosigkeit, die Büttner unangenehm berührte.
Rosi Stern war geschmackvoll und teuer gekleidet. Büttner schätzte sie auf Mitte dreißig. Er taxierte ihre schlanke frauliche Figur und registrierte ihren gebräunten Teint, der gut zu ihren sorgfältig lackierten Fingernägeln passte. Um ihren zarten Hals trug sie eine dezente Perlenkette, die Büttners Blicke magisch anzogen. Die Frau hatte ohne Frage Klasse.
Sein Blick schien sie zu irritieren und einen Moment geisterten ihre Augen unstet durch das Büro. Sie atmete tief durch.
„Lassen sie sich durch den ersten Eindruck nicht täuschen, Fräulein Stern…“ murmelte Büttner, „…die Miete hier ist günstig.“ Er bereute den Satz sofort. Seine Hände fingerten in der Schreibtischschublade nach Zigaretten bis ihm einfiel, dass er die letzte gerade geraucht hatte.
Rosi Stern Körper straffte sich. „Sie sind mir empfohlen worden, Herr Büttner…“ Sie stockte. Büttner verkniff sich die Frage, wer ihn empfohlen hatte und munterte sie mit einer Handbewegung auf, fort zu fahren.
„Pipin ist fort! Mein lieber Pipin! Seit drei Wochen jetzt. Er muss entführt worden sein. Es ist schrecklich, ich weiß nicht…“ Sie stockte wieder.
„Sind sie schon zur Polizei gegangen?“ brachte Büttner das Gespräch wieder in Gang und wünschte inständig, Rosi Stern wäre Raucherin.
„Die Polizei hat den Fall schon aufgenommen. Sie haben gesagt, manchmal kommen sie nach Jahren zurück, einfach so!“
Büttner schüttelte den Kopf. „Nach meinen Erfahrungen nicht. Hat ihr Mann vielleicht eine Nachricht hinterlassen?“
Rosi Stern blinzelte verständnislos.
„Mein Mann…? Ich bin nicht verheiratet.“
„Oh,“ machte Büttner, „dann ist Pipin ihr Sohn…oder ihr Bruder?“
„Nein, Herr Büttner“, antwortete Rosie, „Pipin ist eine Katze. Meine Katze!“
„Interessant“ sagte Büttner gedehnt und wanderte um den Schreibtisch. Er unterbrach seinen Gang und blieb vor ihr stehen.
„Sie können gerne Rauchen, wenn sie möchten oder vielleicht wollen sie einen Drink?“
„Danke, Herr Büttner, ich rauche schon lange nicht mehr.“
Schade, dachte er, es war einen Versuch wert. Er kehrte zum Schreibtisch zurück, zog die Schublade auf und fand neben einer Schachtel mit Revolverpatronen ein nicht mehr frisches Päckchen Chewinggum. Um die Pause zu überbrücken, nahm er ein Wasserglas aus dem Seitenfach seines Schreibtischs und stellte es auf die Tischplatte.
„Okay, Rosi, was denken sie, kann ich für sie tun?“
Anselm Büttner hatte das Kaugummi ausgepackt, schob es sich in die linke Backe, griff nach der Flasche in dem Aktenschrank und goss sich einen fingerbreit Whiskey ein.
„Ihre Katze suchen?“
Er hatte versucht, die Ironie seiner Bemerkung zu mildern, indem er die Frage betont fröhlich gestellt hatte. Dann wurde er wieder ernst: „Obwohl, wenn ich es recht überlege, sollten wir der Sache wirklich auf den Grund gehen!“
Rosi Stern dankbarer Blick entschädigte ihn für alles. Das Kaugummi wanderte in die andere Backe, bevor er den Whiskey hinunter spülte.
„Haben Sie ein Foto dabei?“ fragte Büttner. Der Whiskey brannte sich seinen Weg hinab in den Magen und erinnerte ihn an den versäumten Termin für eine weitere Magenspiegelung. Rosi zog ein Foto aus der Tasche ihres Kostüms und reichte es ihm. „Hier! Das ist Pipin. Er ist übrigens ein Kater. Wir haben das Foto letztes Jahr an Weihnachten gemacht.“
Anselm Büttner studierte das Foto eingehend. Es zeigte einen dicken schwarzen Kater mit einem kleinen idiotischen weißen Fleck auf der Stirn, so als hätte ihm eine Taube auf den Kopf geschissen. An den Seiten des Kopfes hatte er zwei kahle Stellen.
„Wer ist wir“ fragte er ohne den Blick von dem Foto zu heben.
„Daniel, mein Freund,“ sagte Rosi Stern und blickte einen Moment unsicher zur Seite. Büttner hakte nach: „Verzeihen Sie, wenn ich so direkt frage, aber gibt es da noch etwas, was ich wissen müsste?“ „Nun ja,“ zögerte Rosie einen Moment, „wir hatten uns in der letzten Zeit etwas auseinander gelebt...“
„…und jetzt ist es vorbei?“ ergänzte Büttner gedehnt. Er bildete sich ein, der fette Kater auf dem Foto würde ihn frech angrinsen.
„Leider ist es wohl so“ hauchte Rosie. Büttner lehnte sich in seinem Sessel zurück. Zum einem, um ein gewisses Maß an Überlegenheit zu zeigen, zum anderen, um den brennenden Schmerz in seinem Ulcus zu kompensieren.
„Könnte ihr Freund etwas damit zu tun haben?“ fragte er lauernd.
„Daniel? Nie! Das kann ich mir nicht vorstellen.“
„Okay, wir werden sehen,“ sagte Büttner, „erzählen sie mir bitte noch etwas mehr über Pipin.“

Nachdem Rosi Stern gegangen war, fixierte Büttner eine Weile das Foto mit dem dicken Kater und den Scheck auf seinem Schreibtisch. Ein zierliche Frauenhand hatte den Betrag von tausend Euro in das Feld für die Summe gesetzt. Anselm Büttner hatte im Verlaufe des Gesprächs mehr über Pipin erfahren, als ihm lieb war, denn Büttner konnte Katzen nicht ausstehen. Er ermahnte sich aber, in diesem Fall professionell und objektiv zu bleiben. Wenn jemand tausend Euro Vorauszahlung für die Ermittlung einer „Katzenverlustsache“ hinblätterte, würde am Ende noch einiges mehr herausschauen. Er hatte Rosie Stern daher getröstet und ihr in Aussicht gestellt, das der Verlust von Pipin sicher nicht von Dauer sein würde.
Er gab dem Bourbon den Rest und spülte die bernsteinfarbene Flüssigkeit mit einer weiteren Magentablette hinunter. Von plötzlicher Aktivität erfasst, wusch er das Wasserglas in dem kleinen Waschbecken neben der Garderobe ab und stellte es ordentlich zurück in den Schreibtisch. Das Katzenfoto pappte er mit einer Nadel neben dem Spiegel über dem Waschbecken an die vergilbte Tapete.
Beim Verlassen des Büros rückte er den Kalender auf den vierten Oktober vor. Ihm war das richtige Datum gerade wieder eingefallen.

ZWEI
Am nächsten Morgen erwachte Büttner früh mit dem Gefühl eines leichten Katers, was ihn sofort an Rosie Sterns fette Katze erinnerte.
Nach einem Frühstück, dass aus zwei Tassen Expresso und vier Zigaretten bestand, setzte er sich an das Fenster seines kleinen Appartements und ließ sich den Fall noch mal durch den Kopf gehen. Er fragte sich, wie er weiter vorgehen sollte und beschloss, mit einem Besuch des städtischen Tierheims zu beginnen. Sein alter Renault R4 brachte ihn in die Stadt, wobei er vorher noch einen Abstecher in sein Büro machen musste, um Pipins Foto von der Tapete über dem Waschbecken zu nehmen.

Der Besuch im Tierheim brachte ihn nicht wirklich weiter. Ein schwitzender. fettleibiger Tierpfleger hatte ihm missmutig ein halbes Dutzend Käfige mit herrenlosen Katzen gezeigt. Büttner hatte etwa zwanzig dieser armen Kreaturen genauer unter die Lupe genommen und dabei ständig gegen einen starken Nießreiz gekämpft. Das Wichtigste für ihn - eine fette Katze mit einem verschissenen weißen Fleck auf der Stirn - war nicht dabei gewesen.

Enttäuscht brach Büttner die Aktion ab und steuerte den R4 zurück in die Stadt. Er hatte plötzlich das Bedürfnis nach einem Kaffee in frischer Luft und steuerte den Hafen an. Er kannte ein kleines preiswertes Lokal, dass eine herrliche Aussicht auf den Schiffsverkehr bot. Nachdem er umständlich geparkt hatte stellte er zu seinem Verdruß fest, dass die wenigen Tische trotz der Jahreszeit besetzt waren. Verärgert bestellte er einen Hamburger bei der unfreundlichen Tresenbedienung und setzte sich anschließend auf einen der Poller direkt an die Kaimauer. Möwen kreischten und die herbstliche Sonne stach ihm in die Augen, so dass er blinzeln musste. Er brach ein Stück des pappigen Hamburgers ab und schaute den Möwen nach, wie sie im Sturzflug auf die Beute stießen.

Plötzlich bemerkte er eine leichte Bewegung an seinem rechten Hosenbein. Als er hinunterschaute, blickte er in zwei groß aufgerissene Katzenaugen. Sie gehörten einer rabenschwarzen Katze, die in undurchdringlich fixierte. Ihr Fell war seidig und hatte einen glänzenden Schimmer. Büttner zerbröckelte den letzten Rest des Belags seines Burgers und ließ ihn vor die Nase der Katze fallen. Die Schwarze senkte kurz das zierliche Näschen und starrte ihn dann wieder ungerührt an. Friss schon, dachte Büttner, arrogantes Biest!

„Ist das Ihre Katze? Ein wunderschönes Tier!“ Die Stimme in seinem Rücken ließ Büttner herumfahren. „Meine Katze? Ich hasse Katzen!“ knurrte er und musterte den Fremden.
Der Mann musste etwa sechzig Jahre sein und erinnerte Büttner an einen Priester. Er trug einen dunklen Mantel und ein schwarzes, bis zum Hals geschlossenen Hemd ohne Krawatte. Seine randlose, goldfarbene Brille war zeitlos. Dahinter blitzten kluge blaue Augen, die eine gehörige Portion Humor verrieten. Er blinzelte in der tiefstehenden Sonne und beugte sich zu der Hochnäsigen hinunter, die jetzt eine anmutige Haltung eingenommen hatte und die beiden Männer gelassen musterte.

„Wirklich, ein wunderschönes Tier,“ wiederholte er,"sie scheint Ihnen zugelaufen zu sein." Büttner begann sich in der Gegenwart des Fremden unbehaglich zu fühlen. "Mir laufen keine Katzen zu, ich suche..."Büttner stellte fest, dass der Mann zu dem dunklen Mantel auch einen passenden schwarzen Hut trug. Der Mann erhob sich wieder und zog eine Brieftasche aus seinem Mantel, entnahm ihr eine Karte und überreichte sie Büttner. „Entschuldigen Sie, ich habe mich noch nicht vorgestellt,“ sagte die Goldrandbrille. Büttner glaubte, einen spöttischen Unterton zu bemerken. „Riemer, Professor Karl Riemer.“ Büttner blickte auf die Karte, konnte sie aber ohne Brille nicht entziffern. „Ja, bitte…?“sagte er gedehnt und sah den Fremden abwartend an, dessen Lippen ein leichtes Lächeln umspielte. „Sie fragen sich sicher, warum ich Sie angesprochen habe“. Büttner antwortete nicht und sah zur Terrasse des Lokals hinüber, wo gerade ein junges Paar aufstand und bezahlte. Der Platz der beiden lag in der wärmenden Mittagssonne und Büttner war entschlossen, sich nicht weiter stören zu lassen. „ Ich habe leider keine Zeit für ein Gespräch,“ knurrte er und schickte sich an, die Straße zu überqueren um den freigewordenen Platz ein zu nehmen, bevor es ein anderer tat.
Professor Riemer setzte sich nun ebenfalls in Bewegung und folgte Büttner über die Straße. Die schwarze Katze machte einen hohen Buckel, erhob sich träge und begleitete beide mit geduckter Anspannung, wie ein Hund ständig auf ihrer Höhe bleibend. Büttner ignorierte die beiden, steuerte zielsicher auf den freigewordenen Tisch zu und setzte sich mit dem Rücken zum Lokal in die Sonne. Riemer trat an den Tisch und sein Schatten verdunkelte Büttners Gesicht. "Wenn Sie einen Moment Zeit haben, könnte ich Ihnen erklären....." Büttner ließ die Sonnenbrille sinken, die er gerade hatte aufsetzen wollen. "Nun gut, setzen sie sich." knurrte er und glaubte hinter den goldgefassten Gläsern des Professorsn ein Funkeln zu bemerken,  "aber bitte auf die Seite, ich möchte noch etwas Farbe bekommen." 



Pipins Schnurbarthaare vibrierten. "Es gibt keine Zufälle". Wieso zum Teufel musste er hier diesem Detektiv begegnen? Pipin katzbuckelte und glitt geschmeidig in eine Mauernische, wo es schattiger war, ihn aber die Sonne noch etwas wärmte. Die schwarze Lebensmittelfarbe auf seinem Fell begann zu jucken, aber er war froh, sie aufgetragen zu haben. Der Anfänger da oben würde nichts bemerken. Pipin grinste ein feistes Katzengrinsen und begann zu überlegen. Zu allem Überfluss war auch noch der Priester aufgetaucht. Auch das konnte kein Zufall sein. Er hasste den Priester, so wie eine Katze nur einen Priester hassen konnte. Priester in scharzer Kleidung bringen immer Unglück, das wusste er. Felicitas hatte es ihm gesagt und Felicitas wusste viel von der Welt der Menschen. Ihr Bild tauchte vor seinem inneren Auge auf. Sie war eine wirklich scharfe Pussy! Was sie damals im Hinterhof der Fischfabrik getrieben hatten, war ihm noch in angenehmer Erinnerung. Der beginnende Dialog der beiden Menschen über ihm riss ihn aus seinem wohligen Andenken.

"Also, was kann ich für sie tun?" Büttner kniff die Augen zusammen. Professor Riemer zog ein Foto aus seiner Brieftasche. " Es geht um eine mysteriöse Sache. Mein Partner ist verschwunden." "So was kommt vor," brummte Büttner und dachte "Herrgott, noch ein Detektiv." Er blinzelte auf das Foto, dass einen etwas dicklichen Mann in mittlerem Alter zeigte. "Müsste ich ihn kennen?" Riemer schüttelte den Kopf. "Aber vielleicht seine Lebensgefährtin. Rosi Stern!" Büttner konnte nur Mühsam seine Überraschung verbergen.


- wird fortgesetzt -